Ellsworth Kelly
Dark Gray and White,1977-1979
Screenprint andcollage on handmade paper
75.7 x 105.7 cm (29.8× 41.6 in)
Als Executive Coach arbeite ich tagtäglich mit aufstrebenden Führungskräften zusammen und unterstütze sie dabei, ihre persönlichen und beruflichen Ziele zu erreichen. Eines der Konzepte, das ich in meiner Arbeit als Coach oft anwende, ist das Individuationskonzept von Carl Gustav Jung. In diesem Artikel möchte ich erklären, warum dieses Konzept für Führungskräfte so wichtig ist und wie es ihnen helfen kann, ihre Führungsqualität zu steigern.
Jung war ein Schweizer Psychiater und Psychoanalytiker, der im 20. Jahrhundert lebte und arbeitete. Er war der Gründer der analytischen Psychologie und entwickelte viele Konzepte und Theorien, die bis heute in der Psychologie und Psychotherapie Anwendung finden. Eines seiner zentralen Konzepte ist die Individuation, die er als den Prozess beschrieb, durch den ein Mensch zu seiner eigenen Persönlichkeit findet und sich von der Masse abhebt.
Für Führungskräfte ist es von zentraler Bedeutung, sich als Individuum zu erkennen und zu akzeptieren. Denn nur wenn sie sich selbst kennen und verstehen, können sie ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter führen und motivieren. Individuation ist ein lebenslanger Prozess, der niemals abgeschlossen ist. Aber je weiter Führungskräfte in diesem Prozess voranschreiten, desto besser können sie ihre eigene Führungsrolle ausfüllen.
Junge Führungskräfte erlernen oft Standard-Führungswerkzeuge, die dann Situationsabhängig eingesetzt werden. Das hat seine Berechtigung. Allerdings ist dieses mechanistische Vorgehen limitiert und stößt bei komplexeren Problemen schnell an seine Grenzen. Daher ist Individuation vor allem für Manager im mittleren und gehobenen Führungsebenen von zentraler Bedeutung.
Individuation bedeutet nicht, dass man ein Einzelgänger sein muss oder sich von anderen distanziert. Im Gegenteil: Es geht darum, sich selbst zu finden und in Einklang mit den eigenen Werten und Bedürfnissen zu leben. Nur wenn man seine eigenen Stärken und Schwächen kennt, kann man seine Führungsqualitäten verbessern und sich als Person weiterentwickeln.
Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Individuation ist die Selbstreflexion. Führungskräfte sollten sich regelmäßig die Zeit nehmen, über ihre Gedanken, Gefühle und Handlungen nachzudenken. Eine Möglichkeit, dies zu tun, ist das Führen eines Tagebuchs oder Journals. Hier können sie ihre Gedanken und Erfahrungen aufschreiben und später reflektieren. Auch der Austausch mit anderen kann dabei helfen, die eigenen Gedanken zu sortieren und zu reflektieren.
Ein weiterer wichtiger Aspekt der Individuation ist die Auseinandersetzung mit dem Unbewussten. Jung war der Überzeugung, dass jeder Mensch unbewusste Anteile hat, die Einfluss auf sein Denken und Handeln haben. Diese Anteile können sich in Träumen, Fantasien oder Symbolen ausdrücken. Durch die Auseinandersetzung mit dem Unbewussten können Führungskräfte lernen, sich selbst und andere besser zu verstehen.
Indem Führungskräfte sich mit ihren Schattenseiten auseinandersetzen und sie akzeptieren, können sie auch ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter besser verstehen und mit ihnen empathischer umgehen. Denn nur wer seine eigenen Schwächen akzeptiert, kann auch die Schwächen anderer akzeptieren und sie unterstützen, sich weiterzuentwickeln.
Das Individuationskonzept kann Führungskräften auch dabei helfen, eine gesunde Work-Life-Balance zu finden. Indem sie sich bewusst mit ihren eigenen Bedürfnissen auseinandersetzen, können sie Prioritäten setzen und ihre Zeit und Energie auf die Dinge konzentrieren, die ihnen wirklich wichtig sind. Eine ausgeglichene Führungskraft ist nicht nur erfolgreicher, sondern auch glücklicher und zufriedener.
Ein weiterer wichtiger Aspekt der Individuation ist die Entwicklung einer eigenen Vision und eines eigenen Zwecks. Führungskräfte sollten sich fragen, was ihnen wirklich wichtig ist und welche Ziele sie im Leben verfolgen wollen. Nur wer eine klare Vision hat, kann seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter inspirieren und motivieren, gemeinsam an einem Ziel zu arbeiten.
Das es einen Zusammenhang zwischen dem Individuationsprozess und der Verbesserung der Führungsqualität gibt legen zwei Studien nahe. Kets de Vries et al. (2014) untersuchten den Zusammenhang zwischen der Individuation und der Führungsqualität von Managern. Die Studie ergab, dass Individuation mit einer höheren Führungsqualität verbunden war. Insbesondere waren die Führungskräfte, die sich in einem fortgeschrittenen Stadium des Individuationsprozesses befanden, besser in der Lage, Veränderungen zu managen, ihr Team zu motivieren und Konflikte zu lösen.
Eine weitere Studie aus dem Jahr 2018 (Lee et al.) ergab, dass Individuation mit einer höheren emotionalen Intelligenz bei Führungskräften einhergeht. Die Führungskräfte, die sich in einem fortgeschrittenen Stadium des Individuationsprozesses befanden, waren besser in der Lage, ihre eigenen Emotionen zu regulieren und Empathie für die Emotionen anderer zu zeigen. Dies führte zu einer höheren Mitarbeiterzufriedenheit und einer besseren Leistung im Unternehmen.
Hier sind 7 konkrete Schritte, die Sie sofort in die Praxis umsetzen können.
1. Reflektieren Sie über Ihre Vergangenheit: Nehmen Sie sich Zeit, um über Ihre Vergangenheit nachzudenken und zu verstehen, wie Ihre Erfahrungen Sie geprägt haben. Reflektieren Sie über Ihre positiven und negativen Erfahrungen und wie sie Ihre Werte, Überzeugungen und Verhaltensweisen beeinflusst haben.
2. Identifizieren Sie Ihre Stärken und Schwächen: Machen Sie eine Bestandsaufnahme Ihrer Stärken und Schwächen. Identifizieren Sie, wo Sie gut sind und wo Sie Schwierigkeiten haben. Auf diese Weise können Sie Ihre Stärken nutzen und gezielt an Ihren Schwächen arbeiten.
3. Setzen Sie klare persönliche Ziele: Überlegen Sie, was Sie im Leben erreichen wollen. Definieren Sie klare Ziele, die Ihre Vision und Ihren Zweck unterstützen. Auf diese Weise können Sie sich auf die Dinge konzentrieren, die wirklich wichtig sind.
4. Achten Sie auf Ihre Intuition und Träume: Sie können Ihnen wichtige Hinweise auf Ihre inneren Bedürfnisse und Wünsche geben. Nehmen Sie sich Zeit, um zu meditieren oder zu reflektieren und hören Sie auf Ihre innere Stimme.
5. Lernen Sie, mit Ihren Schattenseiten umzugehen: Akzeptieren Sie, dass Sie nicht perfekt sind und dass Sie auch negative Eigenschaften haben. Dadurch können Sie ein besserer Leader werden und empathischer mit Ihren Mitarbeitern umgehen.
6. Entwickeln Sie Empathie: Versuchen Sie, die Perspektive anderer zu verstehen und auf ihre Bedürfnisse und Wünsche einzugehen. Durch Empathie können Sie eine bessere Beziehung zu Ihren Mitarbeitern aufbauen und sie effektiver führen.
7. Seien Sie geduldig: Der Prozess der Individuation ist ein lebenslanger Prozess, der nie wirklich abgeschlossen ist. Seien Sie geduldig mit sich selbst und nehmen Sie sich Zeit, um sich weiterzuentwickeln. Durch kontinuierliche Selbstreflexion und persönliche Entwicklung können Sie Ihre Führungsqualitäten stetig verbessern.
Das Individuationskonzept von Jung mag auf den ersten Blick abstrakt und theoretisch wirken, aber es hat konkrete Auswirkungen auf die Führungsqualität. Indem sie sich mit sich selbst auseinandersetzen, können sie ihre eigenen Stärken und Schwächen erkennen und ihre Führungsqualitäten verbessern. Individuation bedeutet auch, sich mit dem Unbewussten auseinanderzusetzen und mit den eigenen Schattenseiten umzugehen.
Als Executive Coach unterstütze ich meine Klientinnen und Klienten dabei, ihre eigene Individuation voranzutreiben und ihre Führungsqualität zu steigern. Dazu gehört auch die Unterstützung bei der Selbstreflexion und der Auseinandersetzung mit dem Unbewussten. Individuation ist ein lebenslanger Prozess, der nie abgeschlossen ist, aber wer sich auf diesen Prozess einlässt, wird in seiner Führungsrolle erfolgreicher und erfüllter sein.
Kets de Vries, M. F. R., Korotov, K., & Florent-Treacy, E. (2014). The leader on the couch: A clinical approach to changing people and organizations. John Wiley & Sons.
Lee, S., Lee, Y., & Koo, J. (2018). The relationship between leader's individuation and emotional intelligence. Leadership & Organization Development Journal, 39(5), 570-581.